Ich befinde mich auf der Nationalstraße 4, gleich hinter Sihanoukville. Die Landschaft ist geprägt von offenen Essensständen, Müllhaufen und Nähfabriken für T-Shirts und Schuhe. Auf dieser Straße wird gnadenlos überholt. Wer nicht verschwindet, wird überrollt. Wer protestiert, ist bereits Verlierer. Doch daran gewöhnt man sich. In diesem Land gewinnt immer der Stärkere. Was ist los in Kambodscha? Seit den Juniwahlen 2013 wird im Land protestiert. Es war eine Überraschung und wurde vom Ausland zunächst kaum bemerkt. Das Land befindet sich seit 30 Jahren in einem Schockzustand, noch immer traumatisiert von den Massakern der Pol Pot Regierung.
Jetzt wird es von einem Mann regiert, der als Bruder Nummer 6 dem Bruder Nummer 1, seinem Meister Pol Pot, lange treu diente. Im richtigen Augenblick ging er dann mit seinen Leuten zu den Vietnamesen, um anschließend mit dem in Kambodscha gehassten Land, sein eigenes zu befreien.
28 Jahre regiert er nun, ein Despot, ein Führer ohne Einsichten. Er wusste um sein Volk. Dieses würde nie mehr aufstehen, nie Widerspruch geben oder gar Gegenwehr leisten. Nach den Vietnamesen holte er die Chinesen und hat mit ihnen sein Land überrollt. Die Ressourcen wurden aufgeteilt. Das Volk hat nichts von den Gewinnen gesehen. Es war beschäftigt mit sich selbst, allein gelassen mit Tausenden Non-Government-Organisationen (NGO) aus dem Ausland mit ihren Hilfsprogrammen.
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Doch das Fass ist übergelaufen. Die Jungen haben es zuerst bemerkt. Ihre Smartphones melden Wahrheiten über YouTube, Twitter und Facebook. Sie glauben diesen Medien mehr, als dem Staatsfernsehen mit Shows für Blöde. Erst lehnten die Fabrikbesitzer eine Erhöhung des Monatslohnes ab. Es ging nur um zusätzliche 15$ pro Monat. Empört lehnten darauf die jungen Fabrikarbeiterinnen alle weiteren Verhandlung ab. Jetzt fordern sie 160$ monatlich.
Sie werden sie nicht bekommen. Die Fabrikbetreiber sind Chinesen. Sie sind schneller weg, als sie kamen. Wahrscheinlich sind sie schon weg. Dann sind 500.000 Näherinnen in Kambodscha arbeitslos. Doch hier ist das nicht einfach arbeitslos. Diese Arbeiterinnen sind die Ernährerinnen ganzer Dörfer und Familien und sie haben keine Alternative.
Ich habe mit Chantou gesprochen. Sie bekommt 60$, wird alle 11 Monate entlassen und am Montag danach wieder eingestellt. Sie hat ein Baby, einen trinkenden Mann der sie schlägt und ihre alten Eltern, die sie alleine ernähren muss. Eltern, welche die Massenmorde der Roten Khmer knapp überlebten und seitdem nicht mehr reden.
Was wird sein, wenn sie entlassen wird, wenn die Fabrik geschlossen wird? Hat sie keine Angst? Nein, das ist ihr völlig egal, sagt sie. Mit dem wenigen Geld kommt sie schon lange nicht hin. Sie ist überall verschuldet und ohne jede Chance, diese Schulden zurückzuzahlen. Verzinst sind diese Schulden mit 5% monatlich! Nicht einmal für die Zinsen reicht das Geld. Seit Wochen hat sie ihr Baby nicht gesehen. Sie wohnt in einem Betonblock an der Nationalstraße 4, kurz hinter Sihanoukville. Die obersten Stockwerke sind Vogeletagen. Hier werden mit ohrenbetäubenden Zwitscheranlagen Vögel angelockt und zum Nestbau animiert. Die Nester sind Delikatessen und potenzsteigernd, meinen die Chinesen.
Nach 16 Stunden Schicht fällt Shantou ins Bett und hört nichts mehr. Das Zimmer teilt sie mit 7 anderen Mädchen. Sie sind jünger als sie. Alle haben ein Baby. Dieser Protest ist nicht einmalig. Er wird das Land verändern. Hier ist die Büchse der Pandora geöffnet worden. Sie wird sich nicht mehr schließen. Die Preise in Kambodscha haben sich in einem Jahr um 30% verteuert, Zement gar um 50%. Wer bekommt diese Steuer?
Heute ist Sonntag. Die Straße hier vor der Schuhfabrik ist ruhig. Doch wird es so bleiben? Die Wachen sind verstärkt und das Fotografieren ist verboten.
Smartphones und Mopeds .. Solche Dinge lassen die Menschen verarmen. Bevor das Land diese Dinge selbst herstellt, werden die Einwohner bereits damit versorgt. Dadurch entstehen Schulden. Auf der einen Seite stehen Kaufanreize durch die Werbung und den sich änderenden Lebensstil in Richtung Materialismus. Auf der anderen Seite werden industrielle Manufakturen geschaffen, in denen Menschen für Hungerlöhne ausgebeutet werden. Ob das in Griechenland geschieht oder in Kambodscha, ist stets das gleiche. Durch Schulden und Arbeitspaltzzwang bei geringen Löhnen werden Menschen unterdrückbar und haben das Gefühl, selber daran Schuld zu sein. Fairniss auf allen Seiten ist erwünscht.